Page 169 - Katalog Beyond the Box 820 final.indd
P. 169

Kunstgeschichte müsse dezentralisiert und neu ausgerichtet wer-  nung.“ Um solche Neuverhandlungen kolonialer Machtverhältnisse
                            den, um die vielfachen Ereignisse kulturellen Austauschs und künst-  geht es diversen Künstler*innen, deren Werke Dohmen sammelt so
                            lerischer Vernetzungen in ihrer Unabhängigkeit vom Westen zu be-  z.B. Hague Yang, Michael Rackovitz oder Marianna Castillo-Deball.
                            greifen.  Praktisch gesehen muss so etwas ausgehandelt werden.   Eine der neueren Positionen dieser Art in seiner Sammlung ist die
                                   13
                            Eine globale Kunstgeschichte, welche diese Homogenität der west-  Installation Inverted Space Georges Adéagbo, ein gläserner Schau-
                            lichen  Moderne  zerstreut  müsse  sich von  essentialistischen Vor-  kasten, der Hamburgs koloniale Geschichte thematisiert.
                            stellungen von Kunst und Kultur trennen, wie sie beispielsweise im   2015  hatte  er  ihn  für  den  Altonaer  Balkon  entworfen, wo  er  ein
                            Sinne spezifisch nationaler Künste gegeben ist. Susanne Leeb sieht   knappes halbes Jahr im öffentlichen Raum stand. Adéagbos Arbei-
                            im Modell einer transkulturellen, globalen Moderne oder Transmo-  ten drehen sich oft um politische, religiöse oder kulturelle Konflikte.
                            derne gar das Potenzial völlig neuer Lesarten der Geschichte und   Auf systematischen Spurensuchen sammelt er an seinen Ausstel-
                            Gegenwart künstlerischer und kultureller Leistungen. Das Konzept   lungsorten Objekte, Fotos, Bücher oder Zeitschriften, um sie dann
                            der  Transmoderne  geht  auf  den  argentinisch-mexikanischen  Phi-  von Benin aus zu bearbeiten. Dort ergänzt er diese Sammlungen
                            losophen Enrique Dussel zurück, der es als ein Gegenmodell zur   und gestal-tet daraus Bilder und Reliefs mit einem Team von Schild-
                                                           14
                            westlichen Moderne entwickelt hat.  Anders als das eingangs kri-  maler:innen. All dies bringt er dann wieder an den Ausstellungsort
                            tisierte Ausbeutungsverhältnis der Moderne zwischen Künstler*in-  für  seine  Boden-  und Wandinstallationen  zurück.  Die  Deutungs-
                            nen des globalen Nordens und solchen des globalen Südens betont   hoheit auf den globalen Norden verbleibt aber im globalen Süden.
                            die Transmoderne in der Übertragung auf die Kunst Allianzen und   In Vorbereitung zu Inverted Space hatte Adéagbo im Jahr zuvor be-
                            wechselseitige Transformationsprozesse künstlerischen und kultu-  reits mehrere dieser für ihn typischen Installationen an geschichts-
                            rellen Schaffens. Die Transmoderne, so Leeb, stünde „im Zeichen der   trächtigen Orten in Hamburg realisiert. Eine davon bezog sich zum
                            Kontaktaufnahme, der gegenseitigen Einladung, der Gründung von Ver-  Beispiel auf das Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal 1914-1918 im
                            einigungen, Publikationsorganen und Institutionen. Im Unterschied zur   kolonialrevisionistischen  Tansaniapark.  Adéagbo  offenbarte  damit
                            westlichen  Moderne  überschreitet  ihr Transnationalismus  die  geogra-  nicht  zuletzt  eine  schier heuchlerische  Seite  der  Weißen  Domi-
                            phischen, kulturellen und ‚rassischen‘ Grenzen der kolonialen Weltord-  nanzgesellschaft in der Hansestadt (und in Deutschland im Allge-








          168
   164   165   166   167   168   169   170   171   172   173   174