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Kunstgeschichte müsse dezentralisiert und neu ausgerichtet wer- nung.“ Um solche Neuverhandlungen kolonialer Machtverhältnisse
den, um die vielfachen Ereignisse kulturellen Austauschs und künst- geht es diversen Künstler*innen, deren Werke Dohmen sammelt so
lerischer Vernetzungen in ihrer Unabhängigkeit vom Westen zu be- z.B. Hague Yang, Michael Rackovitz oder Marianna Castillo-Deball.
greifen. Praktisch gesehen muss so etwas ausgehandelt werden. Eine der neueren Positionen dieser Art in seiner Sammlung ist die
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Eine globale Kunstgeschichte, welche diese Homogenität der west- Installation Inverted Space Georges Adéagbo, ein gläserner Schau-
lichen Moderne zerstreut müsse sich von essentialistischen Vor- kasten, der Hamburgs koloniale Geschichte thematisiert.
stellungen von Kunst und Kultur trennen, wie sie beispielsweise im 2015 hatte er ihn für den Altonaer Balkon entworfen, wo er ein
Sinne spezifisch nationaler Künste gegeben ist. Susanne Leeb sieht knappes halbes Jahr im öffentlichen Raum stand. Adéagbos Arbei-
im Modell einer transkulturellen, globalen Moderne oder Transmo- ten drehen sich oft um politische, religiöse oder kulturelle Konflikte.
derne gar das Potenzial völlig neuer Lesarten der Geschichte und Auf systematischen Spurensuchen sammelt er an seinen Ausstel-
Gegenwart künstlerischer und kultureller Leistungen. Das Konzept lungsorten Objekte, Fotos, Bücher oder Zeitschriften, um sie dann
der Transmoderne geht auf den argentinisch-mexikanischen Phi- von Benin aus zu bearbeiten. Dort ergänzt er diese Sammlungen
losophen Enrique Dussel zurück, der es als ein Gegenmodell zur und gestal-tet daraus Bilder und Reliefs mit einem Team von Schild-
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westlichen Moderne entwickelt hat. Anders als das eingangs kri- maler:innen. All dies bringt er dann wieder an den Ausstellungsort
tisierte Ausbeutungsverhältnis der Moderne zwischen Künstler*in- für seine Boden- und Wandinstallationen zurück. Die Deutungs-
nen des globalen Nordens und solchen des globalen Südens betont hoheit auf den globalen Norden verbleibt aber im globalen Süden.
die Transmoderne in der Übertragung auf die Kunst Allianzen und In Vorbereitung zu Inverted Space hatte Adéagbo im Jahr zuvor be-
wechselseitige Transformationsprozesse künstlerischen und kultu- reits mehrere dieser für ihn typischen Installationen an geschichts-
rellen Schaffens. Die Transmoderne, so Leeb, stünde „im Zeichen der trächtigen Orten in Hamburg realisiert. Eine davon bezog sich zum
Kontaktaufnahme, der gegenseitigen Einladung, der Gründung von Ver- Beispiel auf das Deutsch-Ostafrika-Kriegerdenkmal 1914-1918 im
einigungen, Publikationsorganen und Institutionen. Im Unterschied zur kolonialrevisionistischen Tansaniapark. Adéagbo offenbarte damit
westlichen Moderne überschreitet ihr Transnationalismus die geogra- nicht zuletzt eine schier heuchlerische Seite der Weißen Domi-
phischen, kulturellen und ‚rassischen‘ Grenzen der kolonialen Weltord- nanzgesellschaft in der Hansestadt (und in Deutschland im Allge-
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