Page 165 - Katalog Beyond the Box 820 final.indd
P. 165
Vom Versuch,
nicht eurozentrisch zu sammeln
von Christoph Balzar
Es hat sich mittlerweile herum gesprochen, dass die Kunst seit
1945 nicht mehr von Europa aus zu deuten ist. Zwar hält sich
1
die Masternarrative vom „West and the Rest“ noch immer, sie ver-
liert jedoch zusehends an Glaubwürdigkeit. Nach wie vor wird vie-
len Weißen Künstler*innen wie Manet, Gauguin oder Picasso vor
allem in konservativen Kreisen und Institutionen ein indiskutabler
Geniestatus beigemessen, so als hätten sie ihre Ideen und Wer-
ke ganz allein in sprichwörtlichen Elfenbeintürmen entwickelt. Tat-
sächlich bezogen viele von ihnen aber einen nicht unerheblichen
Teil ihrer Inspiration aus ethnologischen Museen oder Sammlun-
gen, ein Umstand, der wegen der kolonialen und teils explizit ge-
waltsamen Provenienz dieser Quellen heute kontrovers diskutiert
wird. Manche Meisterwerke der Moderne sind afrikanischen Bild-
werken sogar so ähnlich, dass man sie durchaus als Ergebnisse kul-
tureller Appropriationen betrachten kann. Picassos Gemälde „Les
Pablo Picasso, Les Demoiselles d‘Avignon
1907, Öl auf Leinwand, 244 x 234 cm Demoiselles d’Avignon“, das als kunsthistorischer Meilenstein und
Ausgangspunkt des Kubismus gilt, weist diesen Charakter auf. Das
Werk gilt wegen der teils stark abstrahierten Gesichter der weib-
164