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Vom Versuch,

                                                                                           nicht eurozentrisch zu sammeln


                                                                                           von Christoph Balzar

                                                                                           Es  hat  sich  mittlerweile  herum  gesprochen,  dass  die  Kunst  seit
                                                                                           1945 nicht  mehr  von Europa aus  zu  deuten  ist.  Zwar hält  sich
                                                                                                                                      1
                                                                                           die Masternarrative vom „West and the Rest“ noch immer, sie ver-
                                                                                           liert jedoch zusehends an Glaubwürdigkeit. Nach wie vor wird vie-
                                                                                           len Weißen Künstler*innen wie Manet, Gauguin oder Picasso vor
                                                                                           allem in konservativen Kreisen und Institutionen ein indiskutabler
                                                                                           Geniestatus  beigemessen,  so  als  hätten  sie  ihre  Ideen  und Wer-
                                                                                           ke ganz allein in sprichwörtlichen Elfenbeintürmen entwickelt. Tat-
                                                                                           sächlich bezogen viele von ihnen aber einen nicht unerheblichen
                                                                                           Teil  ihrer  Inspiration  aus  ethnologischen  Museen  oder  Sammlun-
                                                                                           gen, ein Umstand, der wegen der kolonialen und teils explizit ge-
                                                                                           waltsamen Provenienz dieser Quellen heute kontrovers diskutiert
                                                                                           wird. Manche Meisterwerke der Moderne sind afrikanischen Bild-
                                                                                           werken sogar so ähnlich, dass man sie durchaus als Ergebnisse kul-
                                                                                           tureller Appropriationen  betrachten  kann.  Picassos  Gemälde  „Les
                            Pablo Picasso, Les Demoiselles d‘Avignon
                            1907, Öl auf Leinwand, 244 x 234 cm                            Demoiselles d’Avignon“,  das  als  kunsthistorischer  Meilenstein  und
                                                                                           Ausgangspunkt des Kubismus gilt, weist diesen Charakter auf. Das
                                                                                           Werk gilt wegen der teils stark abstrahierten Gesichter der weib-








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