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lichen Akte landläufig als revolutionär, gleichzeitig sind Kunsthisto-  Aber  auch  Fragen  nach  Positionierung,  Kontextualisierung  und
                         riker*innen wie Robert Goldwater davon überzeugt, dass Picasso   der Beengtheit des westlichen Blicks. Als Sammler müsse man die
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                         die  Idee  dafür  von afrikanischen  Skulpturen aus religiösen  Kon-  Grenzen im Kopf überwinden, wie er meint.  Damit steht er in fami-
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                         texten bezog und lediglich als seine beanspruchte . So zeigt sich,   liärer Tradition. Schon sein Urgroßvater Benedikt Schinle sammelte
                         dass es dass es selbst  in den höchsten  Kreisen  der  westlichen   und zwar etruskische Keramiken. Bei ihm habe er sich angesteckt. 5
                         Kunstgeschichte unsichtbare bzw. unsichtbar gemachte Autor*in-  Dohmen interessierten diese familiären Schätze schon seit seiner
                         nen aus dem globalen  Süden  hinter  vermeintlichen  Solo-Genies   Kindheit, anfänglich wegen ihrer Schönheit und ihres historischen
                         der Kunstgeschichte aus dem globalen Norden gibt.              Werts, später dann wegen ihrer politischen Dimension: „Welch Auf-
                         Auch heute noch werden genau die Kulturen, aus deren Bildwelten   sehen eine antike Scherbe erregen kann, sobald sie zu Kulturerbe erklärt
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                         sich schon vor einem Jahrhundert Vertreter*innen moderner Kunst   wird...“
                         bedienten, in der postkolonialen Debatte häufig „source communi-
                         ties“ bezeichnet, so als seien sie nichts weiter als Brunnen für den   Mit  Jan  Hoet  (1936-2014)  hat  Dohmen  über  Jahre  hinwe  die
                         Westen und seinen unstillbaren Bilderdurst. Diese naturalisiernde   Zeitgenossenschaft dieser und ähnlicher Antiquitäten disktiert und
                         Betrachtungsweise ist insofern kolonial, als dass sie diese Kulturen   kuratiert,  zuletzt  in  der  Museumsausstellung  „MARTa schweigt“ .
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                         und ihre Künste nur als Ressourcen darstellt, ihre Autonomie je-  Im Zentrum dieser Ausstellung zeitgenössischer Kunstwerke stand
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                         Kein Wunder also, wenn man der eurozentrischen Kunst überdrüs-  Schnittstelle  zwischen  religiösen  und  künstlerischen  Bildwerken
                         sig ist. So sagt es Werner Dohmen von sich. Als Gründungsmitglied   sowie der Wechsel der Register, der durch Kontextverschiebungen
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                         des Neuen Aachener Kunstvereins und der Twodo Collection   hat   z.B. von einer Kirche in den white cube erfolgt. „Alles war einmal
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                         er über Jahrzehnte hinweg eine vielstimmige Sammlung von zeitge-  zeitgenössisch und kann es wieder werden.“  So unterstützt Dohmen
                         nössischen Kunstwerken und kulturellen Artefakten zusammenge-  heute auch das schamanistische Museum Pacha Milli in Kolumbien,
                         tragen. Transnationale Verflechtungen zwischen den Kulturen und   das sich der Restitution präkolumbischer Zeremonialkeramiken ver-
                         „entangled histories“  wurden  Vorlieben  seines  Kunstgeschmacks.   pflichtet hat.   Dort werden Heiligtümer indigener Kulturen aus pri-
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