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der verschiedensten Inhalte gesichtet hat und in der Zusammen- das Auslöschen, auch dasjenige vom genialen Künstlertum, ist ein
stellung interagieren ließ, baut er zeichnend auf dem Papier aus den grundlegendes Thema und Teil seiner selbstreferentiellen Überle-
heterogenen, dicht gedrängten Versatzstücken eine höchst kom- gungen. Unter der stattlichen Anzahl an zeichnerischen Arbeiten
plexe, zunächst imaginär erscheinende Welt. Die Blätter nehmen finden sich, begründet nicht zuletzt durch seine Arbeitsweise, nur
nahezu plastische Form an. Man kann in ihnen zunächst manche wenige mehrfarbige Beispiele. Seit sich Anastasi von 1977 an re-
Details wie eine Hausfassade, eine Industriezone oder eine Art Ufo gelmäßig mit John Cage zum Schachspiel traf, nutzte er die Fahrten
ausmachen, je länger man sich dann in das kulissenartige Gefüge in der Subway dazu, mit geschlossenen Augen Blei- und Farbstifte
vertieft, desto mehr gibt es von der Wirklichkeit preis, desto mehr beidhändig ein Blatt Papier auf seinen Knien beschreiben zu las-
wird es zum kritischen Kommentar unserer realen Gegenwart. Die sen. Die üblichen Vibrationen der fahrenden U-Bahn schlugen sich
Natur ist aus dem urbanen Raum verdrängt, wie schon der Titel letztlich in den Zeichnungen nieder. Ohne das Auge als wichtiger
“Towering Metal Wood“ andeutet. Der Maßstab im Bild wechselt, Kontrolleur eines Bildenden Künstlers vermittelt der ganze Körper
die Räumlichkeit ist gebrochen, so dass das Auge auf der inhalts- als Verlängerung des Stiftes, womit dem Zufall großer Raum ge-
reichen Bildfläche vergeblich nach Halt sucht. Die Welt scheint zu lassen ist und wobei der Künstler unsichtbar bleibt. Dies gilt für
kollabieren. Letztlich sind die Blätter Metaphern unserer gefährde- alle Blind Drawings, auch etwa für Arbeiten, bei denen Anastasi
ten, wenn nicht bereits zerstörten Zivilisation. Der Film „Metropo- den Stiften in seiner Hosentasche auf mehrfach gefaltetem Pa-
lis“ ist nicht ganz fern. pier das Zeichnen überantwortet. In die Nähe des Informel rückt
Anastasis überwältigende, breite Wandarbeit “60 minutes with yel-
Angesichts solch dramatischer urbaner Gebilde können sogar die low“. Aber angesichts seiner konzeptuellen Arbeiten wird deutlich,
Kritzeleien des Altmeisters des Minimalismus Anastasi beruhigend wie wenig man heute von Stilrichtungen sprechen kann und dass
wirken, obgleich auch sie ein kritisches Potential in sich bergen. Anastasi in seinen Arbeiten grundlegende künstlerische Fragen
So hat der Künstler als Reaktion auf den Vietnamkrieg in Hamburg verhandelt. Dass sie gleichzeitig von politischer Bedeutung sind,
einen ganzen Raum mit Camouflagetüchern ausgestattet, um Tä- zeigt seine Zeichnung “Agnostic IV“. So weit die Arme reichen, ver-
ter wie Opfer sozusagen unkenntlich zu machen. Das Negieren, breitet der Zeichner vom Solarplexus als Zentrum aus ein dichtes
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