Page 20 - Buch Die Schönheit der Wörter defi.indd
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oder wenn sie krank sind. Wenn wir jemandem auf der Straße begegnen und
               er uns jemand Dritten vorstellen möchte, können wir uns nicht mehr die Hand
               schütteln, weil wir es zurzeit nicht dürfen und weil wir Angst haben.
               Eine Umarmung hilft sowohl körperlich als auch geistig, die Stimmung zu
               verbessern. Das gilt auch, wenn jemand traurig ist. Das gilt für mich und ich
               bin sicher auch für viele andere. Eine sehr gute Freundin hat vor fast einem
               Jahr ihre Mutter verloren. Als ich sie sah, wollte ich sie umarmen, aber es war
               die Zeit höchster Ansteckungsgefahr und ich habe nur meinen Kopf gebeugt
               und mich selbst umarmt als Zeichen, dass ich sie umarme.


               Letztes Jahr wurde die Reise meines älteren Bruders Walter, der uns besuchen
               wollte, um endlich mein neues Zuhause, meine Freunde und das Leben seiner
               Lieblingsschwester in Deutschland kennen zu lernen, gecancelt. Auch konnte
               ich nicht nach Lima reisen, um bei meiner Mutter zu sein, sie zu besuchen
               und zu betreuen und einige Freunde und Verwandte zu sehen. Das hat mich
               traurig gemacht.

               In meinem Heimatland sind enge Familienmitglieder an dem Virus gestorben,
               auch ehemalige Kommilitonen und Freunde. Leider war der Gesundheitssek-
               tor nicht auf diese Pandemie vorbereitet. Das hat mich sehr betroffen gemacht.


               Eine andere Sache, die mich traurig macht, ist die fehlende Freiheit der Kin-
               der, obwohl sie inzwischen wieder rausgehen und auf dem Spielplatz spielen
               können. Ich erinnere mich, dass in der ersten Welle sogar die Spielplätze ge-
               schlossen wurden. Auch jetzt dürfen sie noch nicht regelmäßig in den Kinder-
               garten gehen und mit den anderen Kleinen spielen.

               In der Zeitung habe ich gelesen, dass diese Pandemie viele junge Studierende,
               die allein leben, psychologisch beeinträchtigt hat. Am meisten trifft es die-
               jenigen, die im ersten Studienjahr sind, weil sie nicht zur Uni gehen und ihre
               neuen Kommilitonen nicht persönlich kennen lernen können, denn die Vor-
               lesungen sind online. Ich denke, dass auch junge Menschen die Bedeutung
               von physischem Kontakt schätzen.



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