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Schwimmer – Realismusverlust und Abstraktionsgewinn
von Dr. Dirk Tölke
Sie sehen Schwimmerinnen und Schwimmer auf Sigrid von Lin- Es ist trotz aller freier Formgebung ein durch die Figuration
tigs Bildern und geraten vielleicht selbst ins Schwimmen. Sie fixiertes Geschehen, kein Allover, sucht aber in der Vorlage schon
sehen durchsichtiges Wasser und durchschauen es doch nicht. die Schnittstelle zwischen Realität und malerischer Freiheit in
Schwimmende und Tauchende in einem Schwimmbad sind das Momenten des Eintauchens, Abtauchens und Auftauchens, im
Bildthema das die Künstlerin durch mehrere hundert Fotoskiz- Aufwirbeln, Wellentaumel und Durchdringen von Wasser, Luft
zen in einer Art Feldforschung betrachtet, festgehalten und ma- und Körpermassen.
lerisch umgesetzt hat: verschiedene Personen, Kinder und die Was bedeutet es denn, wenn man schwimmt? Im Medium Was-
Künstlerin selbst bewegen sich im Wasser – in eine bestimm- ser erlebt man die Temperatur und Strömung auf der Haut an-
te Richtung. Das Schwimmbecken im Gegensatz zu Fluss oder ders, man fühlt eine Art Schwerelosigkeit und Leichtigkeit. Man
Meer hat klares, durchlichtetes Wasser, einen Fliesenboden und bewegt sich gegen einen Widerstand fort, muss sich bewegen,
die Möglichkeit, vom Rand eine Vogelperspektive einzunehmen. sonst sinkt man ab. Bewegung ist also ein wichtiges Element
Das Wasser hat zwar auf den Gemälden auch eine gewisse ort- beim Schwimmen. Dies kann als Fortbewegungsleistung dem
lose Tiefe, aber es ist nicht die dunkle Tiefe des Meeres oder Durchmessen von Raum dienen oder dem reinen Spaß daran,
die unauslotbare Tiefe eines trüben Flusses, durch die Elemente in diesem Medium zu tollen und Körpererfahrungen zu machen.
des Unbehagens und der Angst entstünden. Diese Bilder sind Training oder Muße.
gefühlt ungefährlich und sie sind ungefähr. Vieles daran ist zu-
nächst vage. Besonders die Erfahrung des Realitäts- , bzw. Rea- Sigrid von Lintig zeigt das Medium Wasser in ihren Gemälden
lismusverlustes, wenn man in der Nähe die Distanz und Detail- in einem gelartigen Zustand, als Medium. Frühe Darstellungen
treue verliert. Der erste Eindruck einer übertragenen Fotografie, von Wasseroberflächen haben oft einen flächengrafischen Cha-
die ein völlig abstraktes Bild wird. Eine Abstraktion, die eine ganz rakter. In der ägyptischen Malerei ist Fluss eine blaue Fläche mit
eigene, auf der Realität beruhende Form hat, aber eben auch nur Wellenlinien und Fischen darin, bei denen nicht klar ist, ob sie
eine pseudorealistische Malerei ist, die auf die durch bewegte auf dem Wasser treiben oder darin schwimmen. Nach dieser
Bilder geprägte Gegenwart Bezug nimmt, nicht aber auf die Un- zeichenhaften Darstellung entwickelt sich im 15. Jahrhundert
schärfen der Fotografie, wie die Fotorealisten. mit den Gebrüdern Limburg und dem Stundenbuch des Duc de
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