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1957 wurde die Nacht zum Tag
Alemannia schaltete gegen Español Barcelona das modernste Flutlicht Europas an
Es war und bleibt ein ganz besonderes Flair: Wenn die das war nicht der Fall.
Fans aus der Aachener Innenstadt oder dem Nordkreis, Der Sport rückte fast ins zweite Glied, worüber die
aus den Niederlanden oder Belgien zum Kultort alemanni- Aachener nicht wirklich traurig sein durften, denn Bar-
scher Kickerkunst strömten und strömen, und von weitem celona zeigte den Alemannen schnell ihre Grenzen auf.
dieses ganz besondere Licht über der Soers zu sehen Die Kartoffelkäfer wehrten sich nach Leibeskräften und
ist, dann weiß jeder: Heute Abend ist Flutlichtspiel. Ganz schafften zum Halbzeitpfiff ein 0:0. Doch in der zweiten
besonders an einem Freitagabend bedeutet dies mehr Halbzeit legte Espanol noch einen Gang zu und führte bis
als einen ganz normalen Spieltag. Die Atmosphäre pusht zur 86. Minute mit 4:0. Als dann Alemannia-Legende Jupp
nochmals die Vorfreude und stimuliert die Bereitschaft, die Martinelli in der 86. Minute das 1:4 gelang, war dies mehr
Schwarz-Gelben mit den eigenen Stimmbändern zum Sieg als ein Ehrentreffer, es war in gewisser Weise durchaus
zu treiben. ein Tor für die Annalen – der erste Flutlichttreffer in der
Möglich ist dies seit 1957, genau datiert auf den Abend Vereinshistorie. Herbert Krisp verkürzte nur eine Minute
des 28. August, einen Mittwoch. Es war damals so etwas später auf 2:4, was das Ergebnis gegen die zu starken
wie eine Zeitenwende. Heute würde man von einer techni- Spanier erträglich machte.
schen Sensation sprechen. Wenn auch das erste Flutlicht Das Flutlicht hatte seine Feuertaufe bestanden und
Deutschlands 1949 in Dresden angeschaltet wurde, so wurde zum verlässlichen Partner. Auch WDR-Reporterle-
setzten die vier Masten, die am Tivoli die Nacht zum Tag gende Kurt Brumme zollte der Aachener Anlage Respekt
machten, europaweit Maßstäbe. Statt der 24.000 Watt und kommentierte im Hörfunk beim Einschalten: „Einfach
wie in Dresden wurde in Aachen knapp die zehnfachte herrlich!“ In der Pause wurde das Flutlicht kurz aus-
Menge an Licht erzeugt. Das sorgte im direkten wie im geschaltet und durch Feuerzeuge und Streichhölzer der
übertragenen Sinne für ganz neue Perspektiven. Zuschauer ersetzt. Ein kurzer stimmungsvoller Effekt
Der damalige Alemannia-Präsident Gerd Heusch war mäch- bei dieser Premiere des für viele besten und schönsten
tig stolz, als gegen den spanischen Erstligisten Español Flutlichts in Europa.
Barcelona der abendliche Rasen taghell erstrahlte. Vor Die Flutlichtmasten wurden in den folgenden Jahren
allem ein kleiner Junge dürfte diesen Abend bis heute nicht Zeugen zahlreicher Spitzenbegegnungen und mitunter zu
vergessen haben: Michael Pfeiffer junior, Sohn des heraus- Aushilfstribünen umfunktioniert. Nicht selten kletterten
ragenden Alemannia-Spielers und späteren Erfolgstrainers die Fans mangels Plätzen – später völlig undenkbar – in
Michel Pfeiffer, durfte nämlich um 20.15 Uhr den Anstoß zu die Stahlstreben und beobachteten das Geschehen auf
diesem Spiel ausführen. dem grünen Rasen in luftiger Höhe. Passiert ist nach-
Im Vorfeld war ganze Arbeit geleistet worden, um die weislich nichts, aber hier war sicher Fortuna mitunter
Alemannia zukunftsfähig zu machen. Mit der Firma Ott aus der zwölfte Mann.
Wiesbaden hatte man Spezialisten gewonnen, die unter Immer wieder wurden die Scheinwerfer neuen techni-
anderem für Fortuna Düsseldorf, Schalke 04, Preußen schen Möglichkeiten und Vorschriften angepasst, oft war
Münster und Eintracht Frankfurt moderne Lichtanlagen eine numerische Reduzierung der Scheinwerfer mit einer
installiert hatte. Damit dies auch am Tivoli gelingen sollte, Erhöhung der Lux-Werte verbunden. Im Tivoli unserer
wurden an den vier Ecken des Stadions großzügige Beton- Tage ist das Flutlicht wie in vielen modernen Stadien im
fundamente gegossen, die die stabile Basis für die vier inneren Rand des Tribünendachs montiert und garantiert
verzinkten Stahlmasten mit einer Höhe von 38 Metern so eine gleichmäßige und absolut blendfreie Ausleuch-
bildeten. So wurde einerseits eine gleichmäßige und ideale tung des gesamten Spielfeldes und der Tribünen. So sind
Bestrahlung erreicht, anderseits eine Blendwirkung für perfekte Bedingungen gewährleistet. Und auf die zusätz-
Spieler und Unparteiische vermieden. „Es wurden Zeiß- lichen luftigen Platzreserven ist man zudem angesichts
Ikon-Lichtflutgeräte mit Glassilber-Parabolspiegeln ver- der Tribünenkapazitäten im Tivoli zum Glück nicht mehr
wendet, die eine gute Reflexionskraft besitzen“, schrieben angewiesen.
die Aachener Zeitungen am Tag vor dem Anpfiff. Dabei gab
es tatsächlich auch noch Ausbaureserven, falls sich die
Leuchtkraft als nicht ausreichend erwiesen hätte. Doch

